Mittwoch, 16. Dezember 2009

Von der Unfreiheit des Willens

"Der Mensch kann wohl tun, was er will, aber er kann nicht wollen, was er will!" Schopenhauers Wort von der Unfreiheit des Willen, begleitet mich in allen Lebenslagen und bewahrt mich davor, den Menschen allzu ernst zu nehmen und den guten Humor zu verlieren.

- Albert Einstein


Ausgelöst vom Feuerbringer* von Nic in seinem Bloghaus geistert zur Zeit eine Debatte über den freien Willen durch die deutschsprachigen Atheistenblogs. Wobei geistern durchaus wortwörtlich gemeint ist. Nahm ich doch bisher an, dass niemand, der sich etwas ausführlicher mit der Frage beschäftigt hat, weiterhin an den freien Willen glauben könnte. Weit gefehlt.

Interessanterweise erinnert die Diskussion ein wenig in Form und Inhalt an die weitbekannten Debatten mit Gläubigen. Offenbar sind auch meine Mitungläubigen nicht vor der Benutzung von logischen Fehlschlüssen und inhaltsleeren Aussagen gefeit. Nicht, dass ich diesbezüglich makellos wäre...

Wie der Leser vermutlich bereits befürchtet, möchte ich hiermit meinen Senf zur Diskussion präsentieren. Dabei habe ich mich bemüht, diesen Artikel möglichst allgemein verständlich zu schreiben. Mir geht es nämlich arg auf den Keks, wenn man Absätze einiger Diskussionsteilnehmer wieder und wieder lesen muss, bevor man auch nur den Hauch einer Ahnung hat, was mit den vielen langen Sätzen, um nicht zu sagen Bandwurmsätzen, die sich mitunter auch und gerade über mehr als fünf Zeilen erstrecken, so dass man in der Mitte aber doch wohl spätestens am Ende des Satzes schon vergessen hat, worüber gesprochen wird bzw. werden sollte, soweit man überhaupt davon ausgeht, dass etwas gesagt bzw. gesagt werden sollte, wohl ausgedrückt werden sollte. Beginnen wir also mit drei Definitionen.

Wille: Mit Wille ist ziemlich genau das gemeint, was man sich im allgemeinen drunter vorstellt und sich in der Aussage "Ich will Schokolade" wiederspiegelt. Etwas umschreibend gesagt, ist der Wille der Wunsch, das Begehren, die Absicht oder die Intention eine bestimmte Handlung auszuführen oder ein bestimmtes Ziel zu erreichen.

Handlungsfreiheit: Die Freiheit zu tun, was man will. Damit ist bloß die Freiheit gemeint, Handlungen auszuführen, die dem eigenen Willen entsprechen. Wenn ich zum Beispiel Lust auf Schokolade verspüre, kann ich Schokolade essen, soweit diese vorhanden ist. Handlungsfreiheit ist also dann gegeben, wenn sich die Handlung mit dem Wunsch deckt. So weit, so trivial.

Willensfreiheit: Die Freiheit zu wollen, was man will. Das klingt dem ersten Augenschein nach unglaublich mysteriös, sagt aber nicht mehr aus, als das man die Fähigkeit hat, selbst zu entscheiden, was man will. Ich kann also nicht nur Schokolade essen, wenn ich Lust drauf habe. Ich soll auch noch die Fähigkeit haben zu entscheiden, wann ich Lust auf Schokolade habe.

Aber gibt es den freien Willen? Kann ich mich just in diesem Augenblick entscheiden, Lust auf Schokolade zu haben? Ich weiß nicht, wie es da meinem verehrten Leser geht, aber bei mir will das nicht so richtig klappen. Mir ist eher nach Zimtsternen...

In bester Tradition Einsteins möchte ich mich der Beantwortung dieser weltunbewegenden Frage mit einem Gedankenexperiment nähern. Dazu setzen wir ersteinmal Handlungsfreiheit vorraus, packen zweiteinmal meinen eventuell sogar freien Willen in eine black box und setzen mich drittens vor die Wahl zwischen Schokolade und Zimtsternen. Dank der Trivialvorraussetzung der Handlungsfreiheit ist meine nach außen sichtbare Entscheidung für eine der angebotenen Süßigkeiten offenbar ein eindeutiger Hinweis auf den Inhalt meines Wollens.

Wie es sich für einen ordentlichen Gedankenexperimentator gehört, wiederholen wir das Experiment unendlich oft, wobei die Startkonditionen jedesmal dieselben sein sollen. Dazu kopieren wir einfach das Ausgangsuniversum samt seines kompletten geschichtlichen Ablaufs bis zum Zeitpunkt meiner Naschentscheidung.

Nun gibt es zwei prinzipielle Resultate. Entweder entscheide ich mich in allen Alternativuniversum gleich (zum Beispiel für Zimtsterne) oder ich entscheide mich mal für Schokolade und mal für Zimtsterne. Mein Wille und damit meine Entscheidung kann also entweder deterministisch (festgelegt) oder indetermistisch (nicht festgelegt) sein.

Determinismus: In einem deterministischen Universum sind alle zukünftigen Ereignisse durch vergangene eindeutig festgelegt. Wenn ich mich also in jedem der Alternativuniversen für Zimtsterne entscheide, dann deckt sich dieses Ergebnis mit den Erwartungen an ein deterministisches Universum. Offensichtlich ist in einem solchen Universum meine Entscheidung und damit auch mein Wille festgelegt und kann von mir auch nicht beeinflusst werden. Ist der Determinismus wahr, so gibt es keine Willensfreiheit.

Indeterminismus: Verwundlicherweise ist das indeterministische Universum das Gegenteil eines deterministischen Universums. Zukünftige Eregnisse sind also nicht durch vergangene eindeutig festgelegt. Stattdessen kann man allen Ereignissen eine bestimmte Realisierungs-Wahrscheinlichkeit zuordnen und damit kommt der Zufall ins Spiel. In einem solchem Universum würde ich Leben, wenn ich mich mal für Schokolade und mal für Zimtsterne entschiede.

Kann man aber beim Indeterminismus wirklich von Willensfreiheit reden? Wenn mein Wille und der Wille zur Veränderung des Willens allein auf Grund eines Zufalls zustande kommt (das Neuron feuert oder es lässt es eben bleiben) und ich selbst keinen Einfluss auf diesen Zufall habe (Neuron 23xf.6654-II bitte mit einer Wahrscheinlichkeit von 32% feuern!), was bleibt dann noch von meinem freien Willen übrig? Reiner Zufall und Willensfreiheit vertragen sich nicht und deswegen gilt: Ist der Indeterminismus wahr, so gibt es keine Willensfreiheit.

Schluss: Der freie Wille ist tot! Es lebe seine Illusion!



Der letzte Strohhalm: Da die ehrenswerten Leser dieses Blogs sicherlich zur geistigen Elite der Welt gehören, bin ich zuversichtlich, dass jeder die folgende Frage wird beantworten können. Welchen logischen Fehlschluss habe ich in diesem Artikel benutzt? Die Antwort lautet natürlich: die (eventuell) falsche Dichotomie.

Als ich den Indeterminismus mit dem Zufall gleichgesetzt habe, habe ich implizit eine (eventuell) falsche Dichotomie konstruiert, nämlich die zwischen "alles ist festgelegt" und "alles ist zufällig". Wenn jemand weiterhin an die Willensfreiheit glaubt, muss er genau hier ansetzen. Dieser jemand müsste zeigen, dass es in einem indeterministischen Universum etwas anderes als Zufall gibt. Im Prinzip müsste er eine neue Art von Mathematik erfinden, die weder deterministisch noch mit dem Zufall arbeitet. Ich wünsche allen, die sich auch weiterhin verzweifelt an die Willensfreiheit klammern, viel Spaß bei dieser Aufgabe!



* In der ersten Version dieses Artikels hatte ich behauptet, dass der Feuerbinger die Diskussion über den freien Willen angestoßen hat. Diese Information ist falsch und es soll Ehre bekommen, dem Ehre gebührt. All hail to nicsbloghaus!