Montag, 23. August 2010

Willensfreiheit im Himmel

Der geschulte Christ wird die allgemein bekannten Fragen nach der inneren Widersprüchlichkeit Gottes, nach der Theodizee oder nach schrecklichen  Bibelstellen recht locker mit seinen Standard-Nicht-Antworten abfangen können. Wäre es aber nicht schön, wenn es eine unschuldige Frage gäbe, die sogar diesen ins Rudern bringen würde? Vielleicht sogar eine Frage, die – egal wie beantwortet – das gesamte Christentum ad absurdum führte? Die Frage, die diesen hohen Ansprüchen am nächsten kommt, dürfte die folgende sein: Gibt es den freien Willen im Himmel?

Erstaunlicherweise braucht man nicht einmal viel Hintergrundwissen, um die Implikationen dieser Frage nachvollziehen zu können. Hierzu möchte ich mit dem altbekannten Theodizee-Problem beginnen.

Theodizee heißt übersetzt "die Rechtfertigung Gottes" und die Idee dahinter ist schnell erklärt. Wenn Gott vom Schlechten in dieser Welt weiß, er mächtig genug ist, um dieses zu verhindern und er uns doch so dolle liebt hat, wieso verhindert er dann nicht das Böse? Die Standard-Nicht-Antwort des Theisten wird meist der Hinweis auf unsere Willensfreiheit sein. Diese würde Gott uns nämlich nehmen, wenn er eingreifen würde.

Der Zusammenhang zwischen Gott und menschlicher Willensfreiheit wird auch im Mythos von der Vertreibung aus dem Paradies behandelt. Die Geschichte ist wohl bekannt. Gott erschafft den Menschen und setzt diesen ins Paradies, auf das der Mensch dieses bebaue und bewahre. Bevor der Mensch sich dann so richtig ins Zeug legt, wurde er noch von Gott eingewiesen.
Siehe, Mensch, was ich für Dich erschaffen habe! All dieser Reichtum, der gesamte Garten Eden steht Dir zur Verfügung! Von allen  Bäumen darfst Du essen. Nur vom Baum der Erkenntnis von Gut und Böse (für den ich sonst nirgendwo Platz hatte) sollst Du nicht essen. Denn sonst muss ich Dich umbringen... ähm... wirst Du gewisslich sterben.

Nein, nicht dieser Baum. Siehst Du den Baum da hinten? Nein. Nicht den. Den da! Weiter links.  Ja, genau den! Der mit den besonders leckeren Früchten. Von dem nüchts, allet klar?

Etwas frei nach 1. Moses 2:15-17
Natürlich drängt sich die Frage auf, warum Gott den blöden Baum überhaupt erst ins Paradies gestellt hat, wohl wissentlich dass der Mensch trotz Verbot davon naschen und damit aus dem Garten vertrieben werden wird. Die häufigste Antwort der Bibelumblätterer ist eine ähnliche wie die Antwort auf die Theodizee-Frage: Gott musste uns die Wahl geben, damit er unsere Willensfreiheit nicht einschränkt. Ohne Baum gäbe es ja keine Wahl.

Übergehen wir mal das Problem, dass Gottes Allmacht hier unbewusst (oder bewusstlos?) amputiert wird und nehmen die Kausalität so hin: Gott muss uns die Wahl zwischen Gut und Böse lassen, um unsere Willensfreiheit nicht einzuschränken. Mit dieser Prämisse fragen wir also den Christen und schauen uns die potentiellen Antwortmöglichkeiten an.

Gibt es den freien Willen im Himmel?

Antwort: Nein. Nach allgemein akzeptierter christlicher Vorstellung sind wir nur deswegen keine Marionetten Gottes sondern selbstständige Lebewesen, weil wir den freien Willen haben. Das bedeutet aber auch, dass, wenn wir im Leben nach dem Tod keine Willensfreiheit haben, wir dann nur Marionetten – um nicht zu sagen Zombies – wären.

Antwort: Ja. Die christlichen Glaubensannahmen über das Leben nach dem Tod, dem Himmel und dem ganzen Rest sind vielfältig und von unterschiedlicher Diffusität. Generell lässt sich aber wohl unterstellen, dass der Christ sich den Himmel als Leben in Gottes Nähe vorstellt (sprich: ohne Sünde oder ohne Trennung von Gott). Das bedeutet auch, dass es in Gottes Nähe nichts Böses gibt, sich die Menschen also immer für das Gute entscheiden werden – wie das mit dem freien Willen zusammenpasst, weiß ich jetzt auch nicht.

Jedenfalls kann und hat Gott eine Welt erschaffen, in der es zwar Willensfreiheit gibt aber nichts Böses. Damit wird allerdings das gesamte Christentum inklusive Jesus Kreuzigungstod vollkommen überflüssig. Denn Jesus hat sich ja kreuzigen lassen, um uns mit der Annahme seines Sühneopfers die Gelegenheit zu geben, die Trennung von Gott zu überwinden und dabei unsere Willensfreiheit zu erhalten. Diesen ganzen Murks hätte sich Gott einfach ersparen können, wenn er nur den Himmel erschaffen hätte. Das Resultat wäre dasselbe. Das ganze Leid, alle jemals erlittenen Schmerzen auf dieser Erde, die ängstliche Unwissenheit wären schlicht überflüssig und es stellt sich die Frage: Warum?

Ähnliches gilt auch für das Theodizee-Problem. Wenn schon Gottes Präsenz im Himmel nicht die Willensfreiheit einschränkt, wie könnte dann Gottes Eingreifen in diese Welt den freien Willen beeinträchtigen?

Das Fazit: Egal wie der Christ die Frage nach der Willensfreiheit im Leben nach dem Tod beantwortet, es führt immer zu einem, seinen Glaubensannahmen widersprechenden Ergebnis. Entweder enden wir als Zombies oder das Christentum an sich wird nicht nur überflüssig, sondern lässt sich nur als abgrundtiefe Bosheit Gottes interpretieren.