Mittwoch, 29. September 2010

Bischof Müllers Wort(ver)gewalt(igung)

Zugegeben. Peter Hahne ist nun wirklich nicht die hellste Leuchte im Gruselkabinett kirchlicher Anstalten und bietet demnach auch dem neuen Neuen Atheisten ein leichtes Ziel. Deswegen möchte ich ein Würdigeres wählen und habe in Dr. habil. Gerhard Ludwig Müller, Komischhutträger - Verzeihung - Bischof von Regensburg, den idealen Kandidaten gefunden. Anlässlich des Papstbesuches in Großbritannien gab dieser nämlich der Passauer Neue Presse  (PNP) ein sehr aufschlussreiches Interview. Ich zitiere.
Müller: Dawkins fehlt es an Anstand gegenüber Andersdenkenden. Er gibt das Beispiel eines Unglaubens, der auf Unkenntnis beruht. In seinem biologistischen Reduktionismus und Methodenmonismus zeigt sich die ideologische Instrumentalisierung der modernen Naturwissenschaften, die im Kontext der Beziehung von geoffenbartem Glauben und der ihn verstehen wollenden Vernunft durchaus mit den Einsichten der christlichen Theologie vereinbar sind. Dawkins und seine fanatischen Jünger sind nicht die ersten, die, im Namen ihrer menschlichen und daher fehlbaren Vernunft, die Kirche und die Gläubigen eliminieren wollen. Wenn sie ihrer Sache sicher wären, könnten sie auch gelassener umgehen mit Menschen, die einen anderen Glauben haben als sie selbst. Der aggressive Atheismus tritt das Grundgebot der Achtung vor der Würde des Menschen in seinem geistigen und moralischen Leben mit den Füßen und stellt somit ein friedliches Zusammenleben in einer pluralistischen Gesellschaft durch einen neuen totalitären Anspruch in Frage.

Quelle: pnp.de (via Atheist Media Blog)
Wow. Welch Wortgewalt. Anders als es die aktuelle Nachrichten ("Kurios: Irrfahrt durch halb Europa endet im Bayerwald", "78-Jährige liegt tagelang in der Badewanne") suggerieren, scheint es sich bei der PNP ja tatsächlich um eine zu tiefst philosophische Zeitung zu handeln. Schaut man sich jedoch die einzelnen Aussage im Detail an, so wird recht schnell klar, dass Müller hier gar nicht so anders als Hahne argumentiert...
Dawkins fehlt es an Anstand gegenüber Andersdenkenden.
Natürlich. Dawkins fehlt es an Anstand. Wie Müller zu dieser Behauptung kommt, erfahren wir dann am Ende des zitierten Absatzes. Geduld.
Er gibt das Beispiel eines Unglaubens, der auf Unkenntnis beruht.
Wie kommt Müller wohl zu dieser bloßen Unterstellung? Ganz einfach. Er geht davon aus, dass sein Glaube die absolute Wahrheit darstellt, die - genügend Intelligenz vorausgesetzt -  von jedem verstanden werden kann und nach intensiver Beschäftigung rational akzeptiert werden muss. Nun hat Dawkins offensichtlich genügend Verstand, glaubt aber trotzdem nicht. Als einzige Erklärung für Dawkins Atheismus bleibt die Unkenntnis. Müller muss Dawkins Unwissenheit unterstellen, weil ansonsten die bloße Existenz des dawkinsschen Atheismus Müllers Weltbild zerstören würde.
In seinem biologistischen Reduktionismus und Methodenmonismus zeigt sich die ideologische Instrumentalisierung der modernen Naturwissenschaften, die im Kontext der Beziehung von geoffenbartem Glauben und der ihn verstehen wollenden Vernunft durchaus mit den Einsichten der christlichen Theologie vereinbar sind.
Man beachte "verstehen wollenden Vernunft" und nicht "verstehen könnende Vernunft". Und wie schrieb doch Franz Buggle in seinem Buch "Denn sie wissen nicht, was sie glauben" sinngemäß? Die christliche Theologie und insbesondere das Theodizee-Problem übersteigen nicht den Verstand, sondern untersteigen die Mindestanforderung, die an rational diskutierbaren Hypothesen gestellt werden. Sprich: Sie sind von Unsinn nicht zu unterscheiden.

Macht sich aber Dawkins der "ideologischen Instrumentalisierung" schuldig wie Müller behauptet? Innerhalb Müllers Weltbild denkend, muss man diese Frage bejahen. So behauptet die RKK, im Besitz der allumfassende Wahrheit zu sein und nimmt sich deswegen heraus, die einzig gültige Interpretation aller anderen und untergeordneten Wahrheiten zu liefern. Das Problem ist offensichtlich.

Und dann auch noch das Buzzwort "geoffenbart", dessen Verwendungszweck im nächsten Satz klar wird.
Dawkins und seine fanatischen Jünger [damit bin wohl unter anderem ich gemeint] sind nicht die ersten, die, im Namen ihrer menschlichen und daher fehlbaren Vernunft, die Kirche und die Gläubigen eliminieren wollen.
Die uns zugängliche Vernunft ist menschlich und damit fehlbar. Die Kirche hat aber - AHA! - Zugang zur offenbarten Vernunft und ist deswegen nicht fehlbar. Hier macht sich Müller der intellektuellen Unredlichkeit so sehr schuldig, dass es zum weinen ist.

Müller benutzt die bei Postmodernisten so beliebte Lücke in der Erkenntnistheorie ("Wir können nichts mit absoluter Sicherheit wissen") zu Nutze und verstopft diese mit seinem Lückenbüßer-Gott. Aber selbst wenn die "offenbarte" Wahrheit tatsächlich frei von jedem menschlichen Makel wäre, so sind es immer noch Menschen, die diese Wahrheit verstehen müssen und dabei können sich - wie Müller selbst zugeben muss - Fehler einschleichen. Müller tut nur so als könnte sein Glaube dieses Problem umgehen. In absoluter Wahrheit hat auch die RKK keinen Zugang zu eben dieser. Und nein. Heiliger Geist zählt nicht und zwar aus exakt demselben Grund.

Des weiteren benutzt Müller hier natürlich einen Strohmann. Ich kenne keinen Atheisten, der tatsächlich die Kirche und die Gläubigen eliminieren will - zumindestens nicht im Sinne eines Verbots oder gar eines Kriegs. Der Herr Bischof sollte mal über eine passendere Hutgröße nachdenken.
Wenn sie ihrer Sache sicher wären, könnten sie auch gelassener umgehen mit Menschen, die einen anderen Glauben haben als sie selbst.
*Gähn* Und hier wird es richtig langweilig. Atheismus ist kein Glaube, sondern die Ablehnung der Gotteshypothese auf Grund unzureichender Belege für diese.

Müller sollte sich mal Gedanken machen, was er hier eigentlich sagt. Wenn Atheismus tatsächlich ein Glaube wäre, dann könnten wir Atheisten eine Religion gründen, diese offiziell anerkennen lassen und dann auf unser gesetzlich verbrieftes Recht auf konfessionellen Religionsunterricht pochen. Atheismusunterricht an allen öffentlichen Schulen. Wollen Sie das wirklich, Herr Müller?
Der aggressive Atheismus tritt das Grundgebot der Achtung vor der Würde des Menschen in seinem geistigen und moralischen Leben mit den Füßen und stellt somit ein friedliches Zusammenleben in einer pluralistischen Gesellschaft durch einen neuen totalitären Anspruch in Frage.
Ein Satz, den man wahrlich öfters lesen muss, um seine Bedeutung extrahieren zu können. Mit dem "aggressiven Atheismus" meint Müller wohl nichts anderes als den Atheismus, der nicht die Klappe hält. Und alleine weil dieser argumentiert, kritisiert und Absurdes absurd nennt, stellt er also ein friedliches Zusammenleben in Frage. Womit auch die Frage von oben geklärt wäre, warum es nach Müllers Dünken dem Dawkins an Anstand fehlt.

Sorry, Müller. So funktioniert das nicht mit dem Recht auf freie Meinungsäußerung. Ihre in die Existenz postulierten, religiösen Gefühle sind mir herzlich egal und wenn Sie damit ein Problem haben, verletzen Sie meine humanistischen Gefühle.