Sonntag, 13. Juni 2010

Spieglein, Spieglein

In der atheistischen Szene ist es weitläufig bekannt - in der breiten Öffentlichkeit leider nicht. Der deutsche Staat bezahlt die kirchlichen Würgenträder. Wie der Spiegel berichtete, belaufen sich diese Personalkosten auf rund 450 Millionen Euro pro Jahr - wohlgemerkt völlig unabhängig und zusätzlich zu den Kirchensteuern. Ob man nun Katholik, Christ, Moslem oder Atheist ist, man bezahlt für die Komischhutträger.

Zur Begründung dieser außerordentlich verwunderlichen Zahlungen wird dann meist der Reichsdeputations- hauptbeschluss aus dem Jahre 1803 (!) herangezogen. Der Spiegel fasst die entsprechende Legende so zusammen:
Auch Gerhard Ludwig Müller, Bischof des Bistums Regensburg, kann an den hohen Zahlungen nichts Ungerechtes finden. Er und seine Kollegen bekämen ihr Gehalt aus dem Vermögen, das der Staat der Kirche vor 200 Jahren abgenommen habe. Das seien vertragliche Verpflichtungen, und die sollten auch weiterhin gelten.

Quelle: spiegel.de
Und fällt auch sofort auf die Legende herein, denn er attestiert Müller:
Mit der Begründung der Zahlungen liegt Müller richtig, die Regelung geht tatsächlich auf vereinbarte Ersatzzahlungen zwischen Staat und Kirche zurück. Am 25. Februar 1803 enteignete die Reichsdeputation in Regensburg die alte Reichskirche mit ihrem enormen Besitz: Es ging um vier Erzbistümer, 18 Bistümer, 80 reichsunmittelbare Abteien und mehr als 200 Klöster.
Tatsächlich handelte es sich aber in der Mehrheit der Ländereien, um Reichslehen. Sprich: Die Kirche war nicht der Eigentümer sondern nur der Besitzer und eine Rücknahme der Lehen vollkommen rechtsgültig. Von einer Enteignung und entsprechenden Entschädigungs- zahlungen kann nicht die Rede sein. Vielmehr handelt es sich bei den im Hauptbeschluss festgesetzten Zahlungen an die nun überflüssig gewordene Bischöfe um Kulanzzahlungen, die den Bischöfen einen standestgerechten Lebensabend sichern sollten.

Interessanterweise haben die Spiegel TV Redakteure auch mit dem Kirchenfinanzexperten Carsten Frerk gesprochen, erwähnen den oben dargelegten und nicht gerade unwichtigen Zusammenhang aber weder im TV-Beitrag noch im Spiegelartikel. Ich bin mir allerdings zu Hundertprozent sicher, dass Carsten etwas von diesen Dingen weiß, denn ich weiß es von ihm. Offenbar hatten die Spiegelredakteuren, ihren Glauben an die Legende kritisch zu überprüfen und verschwiegen diese lieber. Kein Wunder, dass Carsten seinen Unmut in einem hpd-Artikel kund tut.

Wer mehr über die Hintergründe und die Recherchen wissen möchte, sollte sich das entsprechende Interview des hpd-Podcast (Folge 4/2010) nicht entgehen lassen (mp3).

Die RKK benutzt hier wiedermal eine altbekannte und erschreckend erfolgreiche Verschleierungsstrategie. Man unterlegt eine aus der Luft gegriffene Behauptung mit einem Hinweis auf irgendwelche Dokumente, die eh keiner liest und in denen auch nicht das Behauptete drinsteht. Das geschah im Zuge des Missbrauchsskandal mit den ach-so-präzisen Leitlinien, mit der total selbstlosen, brennenden Sorge des Papstes Pius XII für das Schicksal der Juden in der Nazizeit und nun eben wieder.