Mittwoch, 15. September 2010

Das Kirchenhasser Brevier

Brevier (v. lat. brevis: kurz): Ein kurz gefasstes, eigenständiges Werk.

Wird der durchschnittliche Kirchenkritiker nach den Gründen für seine ablehnende Haltung gefragt, dann fallen diesem vermutlich erstmal die zahlreichen Verfehlungen der Kirchen in der Geschichte ein. Kreuzzüge, Hexenverbrennungen,  Religionskriege, Zwangsmissionierungen. Aber was ist mit den heutigen Kirchen, die durch die Aufklärung geprügelt wurden, von der Naturwissenschaft geläutert und sogar in der Demokratie christliche Ideen entdecken?

Ulli Schauen, Pfarrerssohn und Journalist, hat in seinem Buch "Das Kirchenhasser Brevier - Ein verlorener Sohn rechnet ab" mehr als genug Gründe gesammelt, auch die heutige Kirche zu hassen und tut es selbst doch nicht. Es ist jedoch der tief gähnende Abgrund zwischen Anspruch und Wirklichkeit, die die Kirchen unsympathisch machen.

Schauen bietet einen raschen Überblick über den aktuellen Einfluss der Kirchen auf die deutsche Gesellschaft. Angefangen bei den Kirchenfinanzen, über die Verwicklung von Kirche und Staat, Kirche und Militär, den bedenklichen Bekenntnisschulen und bis zu den abstoßenden Praktiken des Arbeitergebers Kirche sammelt der Autor zahlreiche Verfehlungen eben dieser.

Selbst der informierte Atheist (ich) wird auf die eine oder andere neue Information stoßen. Wusstet ihr, dass die Kirche laut des Urheberrechts (§46) ungefragt Texte, Töne und Bilder in Sammelbänder übernehmen darf? Dass ein Theologiestudent ohne besonderen Grund von der Wehr- oder Zivildienstverpflichtung ausgenommen ist (§12 Zivildienstgesetz)? Dass so mancher katholische Pfarrer , wenn er glaubt, dass aus einer Ehe nichts wird, absichtlich einen Fehler in das Trauungsritual einbaut, damit diese dann später leichter annulliert werden kann?  Dass der Staat, dank der von ihm einzutreibenden Kirchensteuer, als riesiges Inkassounternehmen für die Kirche zu betrachten ist? Ich nicht.

Wozu soll eigentlich der inter-religiöse Dialog zwischen Christen und Muslime in Deutschland dienen? Da stehen sich doch eigentlich zwei Parteien  mit unvereinbaren und unverrückbaren Glaubenswahrheiten gegenüber und diese werden sich kaum thematisch in der Mitte treffen können. Macht man sich aber bewusst, dass dem Christentum in Deutschland langsam aber sicher und stetig die Schafe davon laufen, dann dient Eintreten der christlichen Kirchen für  die "Gleichbehandlung" islamischer Gemeinschaften (Religionsunterricht) allein zur Legitimation der eigenen Sonderrechte.

Der Autor versucht gar nicht erst ein vollständiges Bild von den Kirchen in Deutschland zu zeichnen und lässt den Leser darüber auch nicht im Unklaren:
Es lohnt sich, auf bewusst einseitige Weise die durchgängig kritikwürdigen Tendenzen bei den Kirchen aufs Korn zu nehmen. (S. 11-12)
Schauen benutzt einen flotten, sachlich distanzierten Stil, der - anders als der Titel verspricht - jegliche Polemik oder Überzeichnung vermissen lässt. Beispiel gefällig?
Nichts ist dagegen zu sagen, wenn die Institution Kirche das tut, was ihr Geschäft ist: ihre Mitglieder zu versammeln und zu versorgen, ehrenamtliche Arbeit zu organisieren, gute Werke zu tun, ihre Meinung zu Gesellschaft und Politik zu sagen und auch zu missionieren und neue Mitglieder zu werden. Doch wie sie es tun und welche negativen Auswirkungen es hat, das gibt Anlass zu Aufregung. (S. 11)
Wer hier Hass entdeckt, sollte an seinem Leseverständnis arbeiten. Der Titel dürfte vielmehr als ironische Vorwegnahme kritischer, weil kirchenliebender Stimmen sein. Und genau hier habe ich meinem größten Kritikpunkt. Für den Außenseiter in Sachen Religionskritik und damit für das Gros potentieller Käufer wird diese Ironie sicherlich nicht erkennbar sein.

Die im Buch beschriebenen Sachlagen sind mehr als ausreichend mit Quellen belegt, wobei die Angabe eben dieser durchaus nicht immer besonders hilfreich ist. Der Hinweis auf spiegel.de erscheint mir doch allzu grob, wenn ich nochmal nachlesen will, dass die damalige hessische Kultusministerin Karin Wolff die Schöpfungsgeschichte in den Biologieunterricht einbauen wollte. Glücklicherweise hat der Autor dieses Problem erkannt und bietet auf kirchenhasser.de eine ausführliche Quellenangabe - deep links inklusive. Außerdem: Stichwortverzeichnis fehlt. Gleiches gilt für das zwar nicht im Buch, aber auf der Homepage enthaltene Stichwortverzeichnis.

Insgesamt ist dem Autor eine empfehlenswerte Einführung in das Thema Kirchenkritik gelungen, die sowohl durch ihre Aktualität als auch durch ihren mehr als lesbaren Stil besticht. Hoffentlich verschreckt der Titel nicht allzu viele Käufer...