Nachdem ich mich gestern fälschlicherweise auf den Zeit-Redakteur Gero von Randow gestürzt habe, möchte ich das heute richtigerweise tun. Dabei beziehe ich mich auf seinen Artikel "Diesseits von Gut und Böse" aus der Zeitausgabe vom 9. September 2010 (nicht online verfügbar jetzt doch online). Tatsächlich glaube ich, dass von Randow einen der besten Artikel über das Thema "Atheismus" geschrieben hat, die die Zeit bisher veröffentlicht hat - soll heißen: Prädikat mittelprächtig.
Augenscheinlich ist von Randow ein zutiefst
philosophisch geprägter Atheist und stellt das implizit, aber
unmissverständlich klar:
[Houellbecq] stellt empirisch fest, dass er und seinesgleichen Liebe und Mitleid empfinden und den Forderungen der Moral Folge leisten. Viel Sicherheit gibt das nicht.
Was könnte denn mehr Sicherheit geben als die Empirik? Eine saubere,
formallogische Ableitung aus beliebig gesetzten Prämissen? Die Hoffnung auf eine axiomenfreie Begründung der Moral ala Descartes? Vielmehr
lässt von Randow hier die Gelegenheit aus, Empirik zu benutzen, die,
soweit mich mein Gedächnis nicht trügt, aussagt, dass moralischer
Zweifler moralischer handeln als moralisch Festgläubige. Weiter.
Gläubige und Ungläubige sind füreinander bis heute ein provozierendes Rätsel.
Wenn man die Resultate der empirische Psychologie der letzten Jahre
nicht kennt, dann mag man als Philo-Atheist tatsächlich wie der
ungläubige Ochse vor dem gläubigen Berg stehen. Kann man allerdings
etwas mit den Begriffen „Hyperaktive Mustererkennung“, „Hyperaktives Agentenerkennungsmodul“, „Dualistisches Denken“, „Theory of Mind“,
„Authoritätshörigkeit“ und „Evolutionstheorie“
anfangen, dann verschwindet der Unglaube ob des Glaubes seines
Gegenübers. (Übrigens fragt man sich dann, warum man eigentlich selber
Atheist ist).
[Der Ungläubige] muss auch nicht wie Karl Marx die Gesellschaft dergestalt verändern wollen, dass die Frage nach Gott überflüssig wird.
In diesem Satz brennt das aus dem rein philosophischen Ansatz
resultierende Unwissen wie Sperma im Auge. Einer der wichtigsten
Einflüsse auf den Glauben, mein lieber Herr von, ist die persönlich empfundenen Unsicherheit. Je unsicherer man sich fühlt, desto eher neigt
man dazu Muster, Agenten und kausale Verbindungen zu erkennen, wo
keine sind und desto eher neigt man zum Glaube.
Deswegen ist dieser gerade in den unsicheren, weniger entwickelten
Ländern verbreitet. (Oh bitte, versuche keiner eine Widerlegung dieser
Korrelation mit ein oder zwei Gegenbeispielen; mit dieser Taktik sind schon Zeit-Kollegen Özlem Topcu und Bernd Ulrich beim Sarrazin-Interview glorreich
gescheitert.) Tatsächlich kann die Verbreitung der Ungläubigkeit in
einer Gesellschaft als (implizites) Maß für den Erfolg eben dieser
genommen werden. Siehe Gregory S. Paul: "Cross-National Correlations of Quantifiable Societal Health with Popular Religiosity and Secularism in the Prosperous Democracies" (lesbares pdf ohne Abbildungen).
Sprich: Wir sollten für eine Gesellschaft sorgen, in dem die Frage
nach Gott überflüssig wird – nur eben nicht so, wie sich das Marx
vorgestellt hat. Das Ziel dabei ist allerdings nicht die Religion
abzuschaffen, sondern eine gerechte, offene und sichere Gesellschaft
aufzubauen. Der Glaube verschwindet dann von ganz alleine (und die aufgeklärten Christen werden uns dabei helfen).
Wohl nicht zuletzt deswegen wird dem Atheisten oft vorgehalten, auch er habe einen Glauben: daran eben, dass es Gott nicht gibt. [usw. usf.]
Sollte man gegen diesen wohlbekannten Vorwurf nicht
schlicht die Definition des Atheismus entgegen setzen? Ein Atheist ist
ein Mensch, der auf die Frage, ob er an einen Gott glaubt, mit „Nein“
antwortet. Damit ist der Atheismus so sehr ein Glaube, wie das berühmte
Nichtbriefmarkensammeln ein Hobby ist. Eine solche Herangehensweise
würde so manchen unnützen Schlenker im Artikel vermeiden und Platz für
vielleicht etwas anderes schaffen. Sagenwirmal….
Der Gläubige macht eine positive Existenzaussage und deswegen liegt die Beweislast bei ihm. Dieser Verpflichtung ist aber bisher kein Gläubiger nachgekommen und deswegen müssten sämtliche Gläubige an unsichtbare, lila Einhörner glauben, wenn sie denn konsistent wären.
Zu unwichtig was? Und zum Schluss:
Die mathematische Logik kennt immerhin unbeweisbare Sätze, deren Wahrheit feststeht. Sie hat sogar bewiesen, dass solche Sätze existieren.
Fährt da jemand Gödel als Geschütz auf und das auch leider noch
falsch? Dass der arme Gödel auch immer für so einen Quark herhalten muss. Die Wahrheit von prinzipiell unentscheidbaren Aussagen steht nämlich nicht fest. Sie sind unentscheidbar. Mann, wo sind Mäuse? Ich muss was melken.
Ansonsten: Kein schlechter Artikel!